Wie Künstliche Intelligenz die Markenstrategie unterstützt.

KI ist eine Schlüsseltechnologie der Zukunft. Zwei KI-Experten erklären, wie die Markenführung und das Zielgruppen-Management jetzt schon von KI profitieren.

Julia Saswito ist Digitalpionierin und Spezialistin für Customer Experience. Seit April 2021 komplettiert sie das Management-Team des KI-Startups „aimpower“ - einem Spin off von Decode. Julia hat eine der führenden Digitalagenturen in Deutschland aufgebaut und war nach dem Verkauf der Agentur an ein internationales Technologie-Netzwerk (Reply Gruppe), dort als Partner und globaler Practice Lead für den Bereich „Digital Experience“ verantwortlich. Mit zahlreichen Fachartikeln und Vorträgen beleuchtet sie Trends und Innovationen im Digitalmarketing und eCommerce. Julia ist eine unermüdliche Verfechterin, menschliche Bedürfnisse in den Mittelpunkt digitaler Transformation zu stellen.

Dr. Dirk Held ist weltweit einer der wenigen Neuropsychologen, der Forschung- und Praxiskompetenz in der Marketingberatung kombiniert. Er ist Gründer von Decode, eine Unternehmensberatung spezialisiert auf Marketing. Dirk Held ist Bestsellerautor von Büchern wie z.B.: „Was Marken erfolgreich macht” oder „Wie Werbung wirkt”. Das neueste Buch hat den Titel: „Künstliche Intelligenz in der Markenführung.“

KI wird als eine – wenn nicht sogar DIE – Schlüsseltechnologie der kommenden Jahrzehnte bezeichnet. Die einen sprechen von maschineller Superintelligenz. Die anderen vom Beginn der menschlichen Unterwerfung. Drama beiseite: Wovon sprechen wir, wenn wir aktuell von künstlicher Intelligenz sprechen? Und was müssen Markenverantwortliche wissen, wenn sie KI verstehen wollen?

Julia Saswito: Wichtig ist, KI nicht als etwas Magisches zu sehen. Es ist nicht mehr und nicht weniger als die Fähigkeit von Software und Maschinen, riesige Mengen von Informationen sehr schnell zu verarbeiten und darüber hinaus in der Lage zu sein, Muster zu erkennen.

Wenn ein Konsument eine Marke wahrnimmt, dann nimmt er ja quasi auch ein Muster wahr. Die Fähigkeit, Muster in Bildern und Texten zu erkennen, ist die Grundlage für die Anwendungsfelder der KI. So können wir aus großen Datenmengen herausfiltern, was die Motivation von Konsumenten ist und was sie tatsächlich bewegt. Das geht natürlich auch mit anderen Methoden, aber wesentlich aufwendiger. KI bringt für den Marketer vor allem einen Verarbeitungs- und Schnelligkeitsvorteil in dieser komplexen Marketingwelt. KI ist der smarte Assistent für das Marketing.

Dirk, wie schaust Du mit Deiner „Psychologie- und KI Brille“ aktuell auf das Thema Marke? Laut einer kürzlich erschienenen Studie von Havas, könnten morgen 77% aller Marken verschwinden und es wäre den Menschen egal. Kann KI das wieder richten?

Dirk: Wir haben hier zwei Perspektiven. Einmal ist es der Wert der Marke aus Sicht des Unternehmens und dann aus Sicht der Konsumenten.

Wenn man Konsumenten fragt „Wie wichtig ist die Marke bei deiner Kaufentscheidung?“, landet Marke immer ganz weit unten. Aber wenn man sich die Bereitschaft ansieht, dass Menschen für ein Produkt mehr bezahlen, das funktional identisch ist, dann wird klar, dass es Menschen offensichtlich etwas wert ist, eine Marke zu kaufen.

Sonst würden wir ja alle Handelsmarken konsumieren und immer nur das Günstigste kaufen. Marke ist also wertstiftend. Wäre es nicht so, würden die Menschen nicht mehr Geld dafür ausgeben.

Zur Unternehmensperspektive: Wenn Konsumenten für meine Marke mehr Geld ausgeben, dann bringt das mehr Marge.

So gesehen würde ich sagen: Weder Marke noch Markenführung ist in der Krise, aber konsistente Markenführung wird immer schwieriger. Vor allem wie man Marke in diesen dynamischen Prozess von Performance-Zielsetzungen hinein bekommt. Und genau hier kann KI helfen, weil man die Passung zur Marke, auch algorithmisch, mit ins Spiel bringen kann.

KI bringt Objektivität in die Markenführungs-Diskussionen.
Die Maschine liefert Verhaltensdaten und die sind generell objektiver und zuverlässiger als das, was uns Menschen in Pretests sagen.

Viele Marketers sagen, dass mit der wachsenden Anzahl der Kanäle und Touchpoints bei gleichzeitig immer fragmentierteren Zielgruppen Markenführung heute schwieriger ist denn je.
Wie führt man eine Marke über –zig Kanäle konsistent und erfolgreich? Wie kann KI hier konkret helfen?

Julia: Wir nehmen in unseren Beratungsgesprächen ebenfalls oft die pure Verzweiflung wahr. So viele Kanäle, so viele Werbemittel – wie soll man das nur schaffen!?

Ich würde gerne mit dem Projekt- und Kreativ-Team anfangen, denn die müssen ja die Markenstrategie gut umsetzen. Dafür brauchen sie alle den gleichen Wissensstand. Heute ist aber Wissensvermittlung ein großer Aufwand. Denn Teams sind immer verteilter - auch durch home office-, arbeiten immer globaler. Hier kann KI helfen. Ein Einsatzpunk ist eben dieses Markenwissen in die Umsetzungstools einzubauen. So gebe ich dem Team die Möglichkeit, immer, wenn sie etwas entwickeln, direkt zu checken, ob das die Kriterien erfüllt. Damit kann KI helfen, die strategische Konsistenz und Qualität sicherzustellen.

Natürlich muss Markenführung konsistent sein. Aber sie funktioniert auf unterschiedlichen Kanälen anders. Um die Marke an jedem Punkt zu reproduzieren, wo noch nicht ganz klar ist, wie das Umfeld ist, kann ich der KI beibringen, auf verschiedenen Kanälen frühzeitig zu bewerten, ob das Umfeld passend ist oder nicht. Damit vermeide ich viel Ausschuss. Mit KI kann ich also von Anfang an effektiver sein.

Und ein dritter Punkt: Wir alle kennen ja die häufig subjektiv geführten Diskussionen, was ist richtig für die Marke und was nicht. Hier gibt es oft unterschiedliche und viele Meinungen. KI bietet hier den Vorteil, Objektivität in diese Diskussionen zu bringen. Denn sie geht immer nach einem Schema vor, schafft immer die gleiche Entscheidungsbasis.

Dirk: Zur Veranschaulichung hier ein Beispiel aus unserer Praxis. Ein Kunde von uns hat seine Positionierung in diverse Botschaftsplattformen übersetzt. Wir haben mit ihm eine KI entwickelt und dann analysiert, ob ein Werbemittel auf diese entsprechende Plattform und damit auf die Marke und Markenwerte einzahlt. So gelingt es bei Kleinwerbemittel wie z.B. Banner Konsistenz in der Markenführung sicherstellen.


Marketer beklagen oft, dass sie viel zu viel Operatives und Taktisches am Tisch haben. Kurzfristige Ziele (oft bezogen auf das nächste Quartal) lassen kaum Zeit und Platz, um sich mit wichtigen strategischen Fragen zu befassen. Ist KI ein Weg aus der Kurzfristigkeitsfalle?

Julia: KI wurde entwickelt, um die Fleißarbeit zu übernehmen. Konsistenz überprüfen, kontrollieren, checken, Daten zusammenführen, schnell ein Muster erkennen – das ist es, was die Maschine machen kann. In der Konsequenz bleibt natürlich mehr Zeit und Raum für Kreativität. Wenn ich Marke heute konsistent führen möchte, ist ja Strategie und Kreativität das Entscheidende.

Ich muss mir nur im Klaren sein, welche Motivation möchte ich adressieren, wo ist die Stärke, was räsoniert mit den definierten Zielgruppen, und genau diese Information braucht KI am Ende ja auch.

So spielt Strategie und operatives Handling zusammen und hilft letztendlich, der Überlastung von Marketingmitarbeitern entgegenzuwirken und aus dem Micromanagement und den Check-Listen rauszukommen.

KI ermöglicht eine effiziente und effektive Zielgruppenanalyse. Sie orientiert sich am Verhalten der Menschen – nicht an verzerrten Selbstberichten.

Eine der wichtigsten Aufgaben in der Markenführung ist es, dass man als Marketer weiß, welche Themen seine Zielgruppen beschäftigen. Bis dato war das eine Sisyphusarbeit mit laufender Marktforschung, Trendberichten und Tests. Wie vereinfacht KI die Aufwände in diesem Bereich?

Dirk: Die Effizienzgewinne können auf verschiedene Arten stattfinden.

Fangen wir mal mit den Daten an: Da ja jeder Konsument seine Fußspuren im Internet hinterlässt, gibt es Daten und Informationen, die ich ungefiltert nutzen kann, ohne sie zu fragen. Ich kann die Bilder analysieren oder Videos, die sie hochladen, ich kann mir anschauen, was sie über meine Marke sagen, wie sie darüber reden. Durch die maschinelle Verarbeitung kann ich große Datenmengen verarbeiten, also alles was hier im Internet herumschwirrt systematisch und effizient zu verarbeiten.

Dass ich der Maschine jetzt alle Trendberichte lesen lasse und mir gar nichts mehr anschaue, funktioniert so nicht, weil die Maschine dazu da ist, Dinge die sie schon einmal gelernt hat, anzuwenden. Maschinen bauen immer auf bereits Gelerntem auf, auf Erfahrungswissen. Neue Trends sind dann eher statistische Ausreißer. Also mit Trends muss man sich schon noch selber beschäftigen.

Und bei den Zielgruppen ist es ganz spannend. Denn es gibt Zielgruppen abhängige Bereiche und -unabhängige. Einen Banner, für den man 14 Sekunden braucht, um ihn zu lesen, ist zu komplex - das ist eine Zielgruppen unabhängige Erkenntnis. Denn die durchschnittliche Ansichtsdauer liegt unter 2 sec. und wir alle lesen nur max 3-4 Worte pro Sekunde.

Abhängig von der Zielgruppe sind relevante Leistungsversprechen. Denn es müssen Bedürfnisse adressiert werden. Relevante Botschaften sind immer Zielgruppen abhängig.

KI erkennt verbindende Muster in heterogenen Zielgruppen: wenn es einen roten Faden gibt, dann findet ihn die Maschine.

Wir haben vorhin über fragmentierte Zielgruppen gesprochen. Ist es mit der Hilfe von KI möglich, aus den vielen einzelnen Zielgruppen Verbindendes herauszuarbeiten, um nicht im Mikromanagement unterzugehen?

Dirk: Wenn es einen roten Faden, ein Muster gibt, dann findet ihn die Maschine. Das ist der große Vorteil von KI – dass man Muster finden kann. Ein veranschaulichendes Beispiel von der NHS, dem Britischen Gesundheitswesen. Hier ging es um Facebook-Posts zur Impfkampagne. Es kam heraus, immer, wenn das Personal „you“ verwendete, war die Clickrate höher. Das ist eine Erkenntnis, die man schnell nur datenbasiert herausbekommt.

Julia: Die Maschine ist objektiv, hat erstmal überhaupt keine Meinung zu den Zielgruppen. Sie schaut einfach nach Häufigkeiten, nach Zusammenhängen, sie gibt die Bedeutung von Bildern und Worten wieder. Und sie kommt auf dadurch zu Erkenntnissen, von denen Marketer oft zugeben, die sie sie selbst auf den ersten Blick gar nicht wahrgenommen hätten. Warum? Menschen haben Voreinstellungen im Kopf. Und die Maschine hat das nicht. Sie hat schlichtweg keine Meinung. Und das hilft gerade dann, wenn man erkennen will, wo hier jetzt genau das Bedürfnis meiner Zielgruppe ist.

KI kennt nur die Vergangenheit und den Moment - nicht die Zukunft. Sie kann aber Entwicklungen effizient beobachten.

Reden wir über die Grenzen der künstlichen Intelligenz: wie stellt man sicher, dass die gesammelten Daten nicht kompromittiert wurden? Was meine ich damit: Also das z.B. Reviews nicht gekauft sind.

Dirk: Ein schönes Beispiel sind die Produktreviews von Amazon. Hier gibt es mittlerweile KI´s die dabei helfen zu identifizieren, welche dieser Product-Views sind von echten Menschen geschrieben und welche nicht. Es ist also möglich, die Datenqualität zu sichern. Auftraggeber müssen sich hier nicht sorgen.


Für welche Bereiche in der Erarbeitung der Markenstrategie kann man mittels KI bereits reüssieren z.B Wettbewerber-Analysen, wie andere Marken wahrgenommen werden, welche Einstellungen zu Marken vorhanden sind?

Dirk: All das kann man bereits jetzt haben. Wenn ich z.B. weiß, welche Treiber, also welche Benefits, relevant sind in einem bestimmten Markt, bspw. im Skincare-Markt, dann kann ich mir zum Beispiel bei Amazon die Produktbeschreibungen, die von den Herstellern kommen, von diversen Artikeln herauslesen und analysieren, ob meine Produktbeschreibungen zu den Bedürfnissen der Zielgruppe passen. Ich kann evaluieren, wie der Wettbewerb über diese Produkte im Vergleich zu mir redet. Und ich kann mir anschauen, wie die Konsumenten über die Marken, auch meine, sprechen.

Vielleicht noch ein anderes Beispiel: Wir haben ein Modell trainiert - inspiriert von Advertising Pre Tests, die viele Items haben - und wo wir mit einer offenen Frage die Wahrscheinlichkeit vorhersagen können, ob dieser Spot einen Impact im Markt haben wird. Interessanterweise war die Vorhersagegüte besser als die Ergebnisse normaler Pretests.

KI entlastet den operativen Alltag und schafft mehr Zeit und Raum für die originär menschlichen Stärken: Strategie und Kreativität.

Was ratet Ihr KI Beginners, die den ersten Schritt in diese Welt gehen wollen?

Julia: Der erste Schritt, den Beginner machen sollten ist, sich genau erklären zu lassen, was KI ist. Um ein bisschen die Magic und das Bedrohliche herauszunehmen. Und dann muss ich mir klar werden, welche Frage möchte ich gerne beantwortet wissen. Wo will ich mir helfen lassen? Und dann konfrontiere ich einen Experten: Gibt’s dafür schon ein Tool? Und wenn es das gibt, dann einfach mal ausprobieren. Denn die Zeiten, wo KI vor allem mit „Teuer“ und „das braucht zwei Jahre bis es ausgewertet ist“, die sind definitiv vorbei. Es gibt bereits viele “ready to use” Lösungen, die man ausprobieren kann.

Dirk: KI ist keine Software, die man installiert und die dann alles macht. Der größte Mehrwert ist dort, wo man Wissenslücken schließt. Es geht um Automatisierung und gemeinsam mit einem used case wird daraus ein smarter Assistent.

Julia: Viele Auftraggeber befassen sich mit dem Thema Zukunft. Eine erste Annäherung geht über Trends: was gibt es und worauf sollten wir achten? Hier kann KI helfen.

Man nimmt jene Trendentwicklungen, die relevant für die spezifische Branche sind und füttert damit die Maschine. KI erfasst auf Basis von User-Suchanfragen und Surfverhalten im Internet die Zugriffszahlen und die Häufigkeit der gestellten Suchanfragen in einer Zeitleiste. So erkennt man welche Trends sich wie schnell aufbauen und sich zu einem tatsächlichen Trend entwickeln.