Wer den Zeitgeist versteht, hat einen Wettbewerbsvorteil.

Wie IKEA Cultural Understanding für die Unternehmensentwicklung und Markenführung nutzt.

Um als Unternehmen und Marke relevant zu bleiben, ist es nicht nur wichtig, seine Kunden in der eigenen Kategorie zu verstehen, sondern ihr gesamtes Lebensumfeld – den gesellschaftlichen Kontext. Eine Marke, die diese Fähigkeit besonders gut in ihr Denken und Handeln integriert, ist IKEA.

Wir haben mit dem Marketing-Chef von IKEA Österreich, John Oakley, über die Bedeutung von Cultural Understanding für die Marken- und Unternehmensführung gesprochen und wertvolle Einblicke und nützliche Erkenntnisse gesammelt.

“Es ist jetzt wichtig zu verstehen, wie wir in dieser neuen Welt als IKEA relevant bleiben”.

John Oakley - Marketing-Direktor IKEA Österreich

“A better everyday life for the many people” ist seit 1½ Jahren die Mission von John Oakley. Seit der Engländer als Marketing Direktor für IKEA Österreich agiert, haben er und sein Team den Fokus verstärkt, mit Data und Insights Kunden besser zu verstehen. Das Ziel: Kommunikation mit einem starken cultural momentum zu entwickeln, um so Kunden näher an die Marke zu bringen. Das Highlight seiner Zeit bei IKEA: die Eröffnungskampagne für den neuen, ikonischen City Store - IKEA Wien Westbahnhof – dem nachhaltigsten IKEA Store weltweit.

John Oakley blickt auf 20 Jahre internationale Marketing und Werbeagentur-Erfahrung zurück. Bevor John die Marketing Agenden bei IKEA übernahm, war er Managing Director bei Initiative Media.

Hubble: Cultural Understanding ist ein Begriff, der die Fähigkeit von Unternehmen beschreibt, die Zeichen der Zeit zu lesen und für sich zu übersetzen. IKEA besitzt diese Fähigkeit gesellschaftliche Entwicklungen zu antizipieren und in relevante Produkte, Services und Maßnahmen zu verwandeln, die Menschen inspirieren und letztendlich Kaufentscheidungen herbeiführen. Wieviel Gewicht hat die Beschäftigung mit Cultural Trends im Marketing-Tagesgeschäft bei IKEA?

John: Wenn Du, so wie ich, als Quereinsteiger bei IKEA, anfängst, merkst Du sofort, dass dieses Unternehmen eine starke Kultur und Werte hat. Alles, was wir denken und tun, muss der Mission “To create a better everyday life for the many people” dienen. Egal ob Du im Marketing, in der Logistik oder Finanz arbeitest.Dieser Gedanke ist Teil der täglichen Unterhaltungen in den Abteilungen. Die Mitarbeiter denken bei jeder Entwicklung: „Was können wir tun, um den Menschen ein better everyday life zu bereiten?“. Alles geht von dieser Aufgabe aus.

Unsere Mission ist immer unser Katalysator, wenn wir uns Trends und gesellschaftliche Entwicklungen ansehen.

Wenn wir also über eine Kampagne oder ein Service-Angebot nachdenken, fangen wir bei diesem Gedanken an. Ich erachte das als den Schlüssel zum Erfolg von IKEA, weil es eben die Bedürfnisse der Kunden ins Zentrum aller Überlegungen rücken hilft.

 

Hubble: IKEA gibt es als Unternehmen seit den frühen 1940er Jahren. Die Interpretation von „better everyday life“ verändert sich doch sicher bei jedem größeren gesellschaftlichen Ereignis. Wie antizipiert ihr die Bedürfnisse der Menschen, damit ihr auch immer relevant bleibt?  

John: Man muss sich natürlich immer wieder an die Veränderungen anpassen. Nehmen wir die letzten beiden Jahre her, wo die Pandemie und ihre Auswirkungen das Leben der Menschen auf den Kopf gestellt haben. Und dort beginnen wir auch immer: mit dem Konsumenten. In der Pandemie konnten wir natürlich nicht so schnell Research aufstellen, darum hat es am Beginn geholfen, dass wir uns als Team auch selbst gefragt haben: welche Probleme haben wir als Konsumenten? Um ein erstes Gefühl für die Situation unserer Kunden zu bekommen, starteten wir bei uns selbst. Meine Mitarbeiter, die Unternehmensleitung, die Mitarbeiter in den Stores waren plötzlich alle zuhause. Wir haben uns gefragt: Wie können wir als Ikea in diesem plötzlichen Chaos zuhause ein wenig mehr „better everyday life“ ermöglichen?

 

Hubble: Die Pandemie war eine Ausnahmesituation, die alle Menschen betroffen hat. Somit ist es gut nachvollziehbar, dass ihr euch kurzfristig durch eigene Beobachtungen und Einfühlungsvermögen in die Situation eurer Kunden hinein denken konntet. Welche Methoden und Infos nutzt ihr sonst, um Menschen und ihren Lebenskontext besser zu verstehen.

John: Wir wissen ja, dass es an sich gefährlich ist, nur von sich selbst auszugehen. Darum haben wir auch in der Pandemie zügig einen Covid-Tracker auf die Beine gestellt und jeden Monat 500 Menschen befragt, wie es ihnen aktuell geht: Sorgen, Ängste, Themen, die sie bewegen, abgefragt.

Wir konnten so frühzeitig starke Themenverschiebungen bei den Menschen herauslesen, die Einfluss auf das Marketing und die Kommunikation hatten.

Die Pandemie war sehr lehrreich für uns, vor allem weil das Zuhause auf einmal so enorm wichtig war. Hier hat sich der Stellenwert stark verändert.  Und das hält noch immer an. „Draussen“ ist eine verrückte Welt und mein Zuhause ist ein Ort, an dem ich mich sicher fühle. Aus dem Covid Tracker wurde der Life At Home Tracker, weil dieses Tracken uns einfach hilft, kulturelle Veränderungen frühzeitig, schnell und besser zu verstehen.

 

Hubble: Über Studien und Trend-Reports verfügen viele Unternehmen. Aber in ihren Maßnahmen ist davon oft wenig zu spüren. Du hast selbst viele Jahre auf Agenturseite mit Unternehmen gearbeitet und agierst jetzt auf Unternehmensseite. Warum glaubst du, tun sich Unternehmen oft schwer, am Puls von gesellschaftlichen Stimmungen und Bedürfnissen zu sein?

John: Warum bei anderen Unternehmen oft aus der Datenfülle zu wenige herausgeholt wird, liegt meiner Beobachtung nach daran, dass der Konsument nicht wirklich in den Vordergrund gestellt wird. Viele Unternehmen entwickeln ein neues Produkt und fragen sich dann, wem kann ich das verkaufen. Dieser Zugang macht sehr starr. Wir haben gelernt, dass es besser ist, zuerst beim Konsumenten zu beginnen. Wir fragen uns, welche Probleme unsere Zielgruppen befassen und wo wir als Marke reinkommen können. Wir wollen verstehen, welche Ideen helfen können, dass der Kunde ein „better everyday life“ hat.

 

Hubble: Wie schafft ihr es bei IKEA, dass die cultural awareness immer hoch bleibt?

John: Wir machen im Wesentlichen drei Dinge:   

  1. Wir nehmen Daten, Studien und Insights sehr ernst. Darum kümmern wir uns inhouse. In meiner Abteilung - wir sind immerhin 22 Leute - gibt es ein Insight-Team, das Studien initiiert und realisiert, ein CRM-Team, Mediaexperten, Content-Verantwortliche. Dadurch sind wir in der Lage sehr schnell und agil für alle transparent eine Entscheidungsbasis zu schaffen.

  2. Wir sind lernende Experimentierer. D.h. wir probieren Dinge aus, analysieren den Impact und verändern bei Bedarf. Ein gutes Beispiel dafür ist IKEA click & collect. Während der Pandemie plötzlich ein sehr relevantes Service. Unser Angebot war also gratis click & collect. Wir haben dazu eine Kampagne gemacht und gesehen, dass es nicht funktioniert. Also gingen wir zurück und fragten uns: was haben wir übersehen? Die Antwort war schnell gefunden: Wir haben mit unserem Produkt begonnen und zu wenig darauf geachtet, was den Konsumenten beschäftigt. Der brauchte kein Click & Collect, sondern einen Schreibtisch, um von zuhause aus arbeiten zu können etc. Damit war klar: wir müssen unseren Service mit relevanter Inspiration verbinden. Also sprachen wir über alles, was plötzlich durch die veränderte Situation für Menschen wichtig war und verbanden dies mit Click & Collect. Und dann hat es funktioniert.

  3. Wir interessieren uns aktiv für die Menschen und ihr Leben. Nur so können erkennen, wie sich Erwartungen an das „Better everyday life“ durch aktuelle Einflüsse verändern. Ich gehe erst in die Strategieentwicklung, wenn ich genug weiß über die Bedürfnisse der Zielgruppen und die Entwicklung der nächsten Zeit. Dabei habe ich immer unsere Mission im Hinterkopf “To create a better everyday life for the many people.” Uns ist klar: ein better everyday life war vor der Pandemie anders, als während der Pandemie. Für GenZ bedeutet better everyday life etwas anderes als für Menschen 50 plus. Daran sieht man, wie genau man sich mit seiner Zielgruppe auseinandersetzen muss um das relevante Angebot zu entwickeln. Wenn ich beim Vorstand präsentiere untermauere ich alles mit Consumer Insights.

 

Hubble: Insights entstehen ja immer aus einer umsichtigen Auseinandersetzung mit aktuellen Entwicklungen. Welche cultural trends beschäftigen IKEA momentan besonders? 

John: Der wichtigste Trend für uns ist New Normal. Wir kommen ja aus einer zweijährigen Pandemie, haben jetzt einen Kriegsschauplatz in Europa mit dem Impact der steigenden Preise.

Es ist jetzt wichtig zu verstehen, wie wir in dieser neuen Welt als IKEA relevant bleiben.

Und wie können wir dafür sorgen, dass man immer an IKEA denkt, wenn man Möbel braucht? Menschen kaufen heute anders als vor der Pandemie. Außerdem treibt uns das Megathema Omnichannel herum. Das war ja in den letzten Jahren schon da, aber die Pandemie hat eine Verhaltensänderung beschleunigt. Menschen müssen Möbel nicht immer mehr real vorher sehen, sondern kaufen sofort online. Oder sie recherchieren online sehr genau und kaufen dann gezielt im Geschäft. Das sehen wir, weil Kunden weniger Zeit in unseren Geschäften verbringen.

Das ist für uns eine große Herausforderung, im Web ist man austauschbarer. Unser stationärer Handel hat für eine starke Differenzierung und Inspiration gesorgt. Das hat unseren Fokus verändert und stärker auf digital Touchpoints, Website, gelenkt. Es geht uns darum, ein tolles IKEA Online-Erlebnis zu haben, das IKEA gerecht wird.  

 

Hubble: Wenn wir über neue Ikea-Erlebnisse sprechen, dann führt uns das zum IKEA der City-Store in Wien, das wir als ganz starkes Zeichen von cultural understanding verstehen. Welche gesellschaftlichen Erkenntnisse haben Euch geleitet und bewogen, diesen Schritt zu gehen?

John: Das Mobilitätsverhalten der Menschen in den Städten, insbesondere der jüngeren Generationen, hat sich durch den gesellschaftlichen Fokus auf das Klima verändert. Viele Menschen besitzen heute schlichtweg kein Auto mehr. Klima, hohe Kosten. Dadurch ist es für sie viel schwieriger, Ikea zu erreichen. Der City Store am Wiener Westbahnhof war eine Antwort auf diese Entwicklung. Wir platzierten ihn bewusst mitten in der Stadt, um ihn mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht erreichbar zu machen. Kleine Dinge kann man gleich mitnehmen, größere Sachen liefern lassen.  Das ganze Konzept entspricht der Omnichannel Trend von Heute.

 

Hubble: Was schafft der City Store für die Marke und die Unternehmensentwicklung, was die großen Flagships am Stadtrand nicht schaffen?

John: Der Store ist ein Erfolg. Wir haben unser intendiertes Ziel, junge Leute zu erreichen und Marktanteile in dieser Zielgruppe zu gewinnen, erreicht. Über 70% der Besucher von IKEA Westbahnhof sind junge Menschen. Außerdem mögen sie unser sustainability-Konzept am Standort.

Dass wir den Store Planet-Positiv ausgelegt haben, finden viele großartig.

Der Store fungiert als Brand-Shaper - unsere Marken-Werte im Bereich Nachhaltigkeit sind im Jahr der Eröffnung von 24 auf 30% gestiegen. Natürlich hatten wir auch Herausforderungen zu stemmen. Die Verantwortlichen des 15. Bezirks haben das Projekt zwar positiv gesehen, hatten aber Bedenken wegen des Verkehrs. Sie wollten nicht noch mehr Verkehr in dieser Gegend. Also haben wir uns entschlossen, keine Parkplätze zu bauen. Das ändert natürlich das ganze Konzept, dass man von IKEA erwartet. Letztendlich sind wir aber stolz, denn wir haben damit den Fokus des Kern-Konzepts nicht verwässert und blieben damit auch dem cultural understanding, auf dem die Idee des Stores basiert, treu.

 

Hubble: Deine Ausführungen machen super plakativ greifbar, was cultural understanding für eine Kraft besitzt, um eine Marke und das Business zu informieren. Sehr beindruckend. Zum Abschluss verlassen wir IKEA und möchten kurz über das Cannes Lions International Festival of Creativity reden. Du warst dieses Jahr Juror und hast ganz viele Arbeiten gesehen und analysiert. Uns interessiert: Gibt es aus deiner Beobachtung Marken, die cultural understanding perfekt für sich nutzen?

John: Besonders inspiriert haben mich die Arbeiten, die während der Pandemie produziert wurden.

Ich habe mich bewußt damit auseinandergesetzt, wie Spots wirken, die den gesellschatlichen Kontext aufnehmen und wie gesellschaftliche Entwicklungen in relevante Markenbotschaften verwandelt wurden.

Besonders beeindruckt war ich von Arbeiten der BBC, Airbnb und den social media companies (facebook: it´s been a year und Instagram). Diese Marken haben es einfach drauf, ganz nah an Ihren Zielgruppen, Bedürfnissen und Motiven zu sein.

Man sieht einfach, wenn der Kontext relevant mit der Marke verbunden wird, hinterlässt die Botschaft einen anderen Eindruck, als wenn man Arbeit sieht, wo bloß ein Produkt ideenreich verkauft wird. Es ist einfach ein anderes Erlebnis, wenn eine Idee neu ist und dabei nah am Menschen.


Bild: Henrik Donnestad